Der I. Herrensitz der Haller

Die 1. früheste Anlage eines Herrensitzes wird bald nach 1342, also nach der Erwerbung des Ortes Kalchreuth durch die Haller angenommen (siehe Inventar). 1425 ist die Behausung mit einem Zwinger und einem Graben genannt. Demnach stand ein quadratischer oder rechteckiger Sandsteinbau schon in der Mitte eines Wassergrabens, der als sicherer Schutz und als Befestigung diente.

Im I, Markgrafenkrieg, der 1449 zwischen dem Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach (1440—1486), später Kurfürst Albrecht von Brandenburg (1470—1486) und der Reichsstadt Nürnberg geführt wurde, soll auch Kalchreuth 1449 eingeäschert worden sein. Damals wurde auch der Hallersche Herrensitz mehr oder minder beschädigt oder zerstört. In den Jahren nach 1449 wurde der Hauptbau des Herrensitzes neu errichtet, er stand wiederum in einem breiteren Wassergraben, dessen Mauerzug aus Sandstein aufgeführt war. Der Neubau war ebenfalls aus Sandstein erbaut.

Im Landshuter Erbfolgekrieg 1503/04 hatte die Reichsstadt Nürnberg ihr großes und ausgedehntes Landgebiet erworben. In diesem Jahr 1504 hatte Wolff III. Haller zu Kalchreuth († 1508) den Herrensitz mit seiner Kemenate (d. h. dem Frauengemach), dem Zwinger und Graben dann der Gemeinde geöffnet. Dazu gestattete er die Benützung der Brücke mit zwei Türmen und der im Sitz befindlichen Waffen: Instrumentum des schlos Vnnd dorffs zw Calchreuth etc. Copey). Das Original des Schriftstückes war gezeichnet von Johann Newstirner Notarius. Der Besitzer rechnete mit kriegerischen Verwicklungen, die aber ausblieben. Vorhanden waren: 4 große kupferne Hackenbüchsen, 2 lange Messingbüchsen, 6 kupferne Handbüchsen, 6 Schweinsspieße, 8 Schwerterspieße (- Helmbarten), l modrachssin, l große hölzerne Büchse, 38 zu ladende Büchsen, 4 große Pulverbüchslein, 3 große steinerne Modell zu 3 großen Büchsen und l Messing Modell, 3 Armbrüste, 50 Pfeile, 9 Pfd. Blei, 3 messingne Hackenbüchsen.

1533 erwarb Jobst IV. Haller zu Hallerstein († 1553) den Herrensitz zum alleinigen Besitz, der Preis betrug 530 fl. Jacob IV. Haller von Hallerstein zu Kalchreuth (1522—1582), der Bruder des Jobst IV. errichtete einen Anbau an den bestehenden Herrensitz als den Südflügel. Die äußere Form des ganzen Baues geht auf ihn zurück. Vom hohen Dach wurde später das oberste Geschoß abgebrochen und dafür ein Mansarddach aufgesetzt.

Ein einfaches Gefängnis, das sog. Sau-Jörgle, befand sich im Herrensitz. Säumige und unbotmäßige Untertanen wurden hier für kürzere Zeit eingesperrt, im Jahre 1605 soll es benützt worden sein. An den sechs Stöcken wurden die Bestraften an Händen und Füßen angeschlossen.

Ein breiter und tiefer Graben, der jetzt trocken ist, umgibt das Gebäude des Herrensitzes, dabei sind die Mauern innen durch Streben aus Sandstein abgestützt. An einem Stein im Schloßgarten steht an der Futtermauer des Ostteiles: Erneuert (Tierkopf) 1513. Die abschließenden profilierten Kopfsteine der Einfassung stammen aus dem IS. Jahrhundert. An der Mauer, besonders seitlich vom Portal nach rechts zum Pfarrhaus hin, sind hier senkrechte Wetzrillen angebracht. An Kirchenmauern und -portalen sowie an Stadtmauern und an profanen Bauwerken finden wir derartige Einkerbungen. Vielfach sind an. diesen Bauten (nicht in Kalchreuth) auch die Rundnäpfchen zu sehen. Es sind Rechtsmerkmale, die auf das Wetzen von Waffen hinweisen).

Eine eindeutige Erklärung dieser Zeichen hat sich bisher nicht finden lassen. Die Ansichten der Forscher gingen weit auseinander. Früher sollten im Mittelalter die Waffen der Kirchengänger an den Mauern und Portalen der Kirchen gestanden sein. Diese Waffen und die Geräte sollten an diesen Stellen und besonders an den Türpfosten geschliffen worden sein, damit sie für den Besitzer gefeit und zauberkräftig würden. Besonders vor dem Zug ins Feld, in den Kampf und bei den Kreuzzügen sollte man diese abergläubische und glückverheißende Manipulation vollzogen haben. Es sei demnach ein Schwert- oder Beilzauber damit verbunden. Auch an die Reisezeichen der wandernden Steinmetzen sowie an Kinderspielereien wurde gedacht. Die senkrechten Wetzrillen oder die Teufelskrallen sollten gerade durch ihre Form mit den Bausagen der mittelalterlichen Zeit zusammengebracht werden. Ferner sollte eine Eheschließung vor dem Kirchenportal damit zusammenhängen. Jedoch wurden diese Hinweise mit Ausnahme des Schwertzaubers als irrig angesehen. Nach einer anderen Anschauung sollten die Rillen und die Näpfchen aus neuerer Zeit stammen. Der Steinstaub, der an der Kirche gewonnen wurde, sollte ein Heilmittel sein und als eine medizinische Anwendung für das Einreiben und für das Einnehmen verwendet werden. Dieser Hinweis ist ebenfalls irrig.

Die Rechtswissenschaft sieht nun in den Wetzrillen eine rechtliche Bedeutung. Verschiedene Rechtshistoriker wollen gerade darin eine heidnische Überlieferung erkennen. Zuerst wurde beim Eingehen einer Ehe gerade das sogenannte Eheschwert an dem Sockel des Gerichtspfahles gewetzt. Sollte die Frau sich der Untreue schuldig machen, so sollte ihre Enthauptung das Unrecht sühnen. Das germanische Recht käme zur Anwendung. In der christlichen Zeit wurde das Eheschwert symbolisch an den Portalen der Kirchen gewetzt. Der heidnische Brauch wurde damit vorn Gerichtspfahl an die Kirche verlegt. Dagegen betonen rechtshistorische Forscher, daß die Entstehung der Wetzrillen sehr viel jünger ist und außerdem, ein anderer Aberglaube mitsprechen muß. Infolgedessen nahm man wieder die Verbindung mit dem schon angegebenen Schwert- oder Beilzauber an, daß die Waffen an den Türpfosten geschliffen wurden. Tatsache ist es aber ferner, daß noch im 20. Jahrhundert an den Bauernhäusern am Moritzberg und in dem nahegelegenen Haimendorf (bei Nürnberg) die Bauern ihren Wetzstahl an den Wetzrillen der Haustürpfosten wetzten.

Jetzt wird die Entstehung folgendermaßen erklärt. In der vorreformatorischen Zeit wurde das österliche Feuer, das am Karsamstag entzündet und geweiht werden sollte, nach der an diesem Tage gefeierten Karsamstags-Liturgie aus dem Stein geschlagen bzw. gerieben. Mit Holzstäben als dem Feuerbohrer wurden die halbkugeligen Näpfchen, als dem Feuerrad die längeren Wetzrillen ausgeschliffen.

Vorne ist ein rundbogiges Einfahrtstor, mit der Brücke ist es als ein rahmendes Architekturdetail angeordnet.

Der Hauptbau des Herrensitzes ist von der Südseite, also der Straßenseite, nicht zu sehen, er erstreckt sich in die Tiefe. Wie üblich ist ein rechteckiger Grundriß entsprechend der Bauform der anderen Nürnberger Herrensitze in der Stadt und im Nürnberger Umland gewählt. Die Außenmauern sind in Sandstein hochgeführt. Der Bau besteht aus dem Erdgeschoß, dem 1. und 2, Obergeschoß. Der Nürnberger Radierer Johann Alexander Boener (1647—1720) nahm in der Prospektfolge: Des hl. römischen Reichs Stadt Zierdte, 3. Ausgabe, Nürnberg 1708, ein Blatt aus diesem Jahr 1708 auf. Daraus geht hervor, daß damals noch ein 3. Obergeschoß "in Fachwerk und mit dem an der Nordseite gelegenen Fachwerkgiebel aufgesetzt war. Im 18. Jahrhundert wurde dieses Geschoß abgebrochen und ein Mansarddach aufgesetzt. Der nicht schöne Aufbau mit Blechverkleidung auf dem Dach stammt aus dem späten 19. oder dem Anfang des 20. Jahrhunderts.

Die ehemalige Südseite des Baues - zur Straße - wird von dem 1560 angefügten Querbau verdeckt. Die Ostseite - gegenüber der Kirche - hat unten ein kleineres gotisches und spitzbogiges Portal. Die hölzerne Türe weist am Mittelpfosten zweimal zwei Wappenschilde auf. Zwischen dem 1. und 2. Geschoß des Hauptbaues ist an einem Quaderstein eine gefälschte Inschrift eingefügt:

ERBAUT

ANNO

DCCCXVI.

Sie ist entweder in historisierender Absicht am Anfang des 19. Jahrhunderts angebracht, sie kann aber auf einige kleinere bauliche Änderungen von 1816 hinweisen. Es ist wohl unrichtig, daß diese Inschrift erst nach 1910 angebracht sei. Die Westseite hat am Kellergeschoß zwei Stützpfeiler.

Jacob IV. Haller von Hallerstein errichtete 1560 einen breiten, nicht sehr tiefen Querbau, der vor die Südfront des ursprünglichen Baues gesetzt ist und im Osten wie im Westen seitlich darüber hinausragt. Das Material ist Sandstein und Fachwerk. Das Keller- und das Erdgeschoß sind aus Sandstein errichtet, an der Südseite sind im Graben zwei Stützpfeiler angefügt. Das Obergeschoß an der Südseite ist neu verputzt, an der Ost-wie Westseite besteht es aus Sandstein, an den beiden herausragenden Rückseiten dagegen aus Fachwerk. Das vordere Dach ist schräg und in der Mitte unter das jetzige Dach des Hauptbaues angefügt, an den Seiten ist das Dach spitz und an den beiden Schmalseiten im Osten und Westen sind kleine Walme.

Die breite Steinbrücke führt auf das in der Fassade rechts eingefügte rundbogige Portal, das den Zugang zu den Bauteilen bildet. Hier ist heraldisch rechts das geviertete Wappen Haller und heraldisch links das Wappen Letscher, dies weist auf die Heirat des Jacob IV. Haller (1522 - 1582), des Sohnes von Jobst III. Haller, und seiner 1. Frau Ursula Letscher († 1566) im Jahre 1544. Eine lateinische Inschrift über dem späteren Türrahmen von 1741 lautet: NEMPE DE(us) CLYFEO TVTATVR AB HOSTIB(us) OES (irrig für EOS) QVOS FIDEI CERTOS NOVERIT ESSE SVAE P.S. (Steinmetzzeichen) ANNO MDLX (Steinmetzzeichen). Der Steinmetz, der die Inschrift angebracht hatte, gab die Vorlage mit OES statt EOS unrichtig wieder. In das Deutsche übersetzt lautet der Text: Offenbar beschützt Gott mit dem Schilde diejenigen vor ihren Feinden, von denen er weiß, daß sie dem Glauben an ihn treu sind. Über der lateinischen Inschrift ist ein Fries mit antiken Kampfszenen eingelassen, Anfang des 19. Jahrhunderts: Krieger und Frauen kämpfen gegeneinander. Das Material ist ein weißer Kalkstein. In der Zeit, in der zahlreiche Antiken wiederentdeckt und die vorhandenen Stücke geschätzt wurden, ist dieser Fries als eine Nachschöpfung entstanden; er ist nicht antik und nicht echt.

Im Erdgeschoß sind die Fenster im 20. Jahrhundert modern verändert. Eine weitere Jahreszahl 1560 steht im Innern des Hauses an einer hölzernen Säule im Erdgeschoß. Im Innern ist an einem Bogen ein männlicher Kopf mit offenem Mund, mit langem zweigeteilten Bart und einem Haarkranz; er ist weiß überstrichen. Er wird als ein Nachguß nach einem Original des 16. Jahrhunderts angesehen.

Die Verkaufsurkunde des Hallerschen Herrensitzes vom 3. IX. 1850 war wohl nicht in einer Kopie (Abschrift) in der Kalchreuther Pfarrei-Registratur vorhanden, da im Jahre 1851 dann der Verlust am Kreis- und Stadtgericht Nürnberg angezeigt wurde. Eine neue Urkunde wurde am 8. XI. 1865 in Nürnberg ausgestellt. Danach verkauften Major Freiherr Johann Sigmund VI. Samuel Haller von Hallerstein (1794 - 1873) und seine Schwester Freiin Katharina Friedericka Jacobina von Haller (1789 – 1865) den Besitz an den Schreinermeister Friedrich Woelfel und seine Frau Sophie geb. Endres in Kalchreuth. Der Besitz umfaßte das Schloß mit der Mauer; der Preis betrug 2000 fl. und 100 fl. als Leihkauf. Seit 1850 war Haller Oberst-Lieutenant. In der Urkunde steht noch der Passus: „Der Chor der Kirche ist Eigentum des Burgstalls." Dies weist auf das erloschene Patronat. Jetzt ist im Herrensitz das Schloß-Cafe und Restaurant.

Aus: Erlanger Bausteine zur fränkischen Heimatforschung, 21. Jahrgang, 2. Heft, 20. Dez. 1974, Seite 73f